Smartphone trifft Kino

Wie Danny Boyle mit iPhones die Apokalypse neu denkt – „28 Years Later“ und das Erbe der Canon XL1

Als Danny Boyle 2002 „28 Days Later“ veröffentlichte, war das nicht nur ein Meilenstein des modernen Zombie-Genres – es war auch ein visuelles Statement. Statt ausschließlich auf großformatige Filmkameras zu setzen, griff Boyle zur damals revolutionären Canon XL1, einem digitalen Camcorder aus dem Consumer-Bereich und drehte den größten Teil des Films damit. Das Ergebnis: ein raues, dokumentarisches Gefühl, das perfekt zur klaustrophobischen Stimmung des Films passte. Fast ein Vierteljahrhundert später schließt Boyle mit „28 Years Later“ den Kreis – und setzt erneut auf Technik, die in jede Hosentasche passt: das iPhone 15 Pro Max.

Canon XL1

wurde von 1998 bis 2001 hergestellt.

4:3 und elektronische 16:9 (nicht native) anamorphotische Seitenverhältnisse.

60i, sowie "Frame" 30p Bildmodi.

Vom Camcorder zur Smartphonelinse: visuelles Erzählen im Wandel

Boyle ist kein Regisseur, der sich Technologie aus Gimmick-Gründen annähert. Für ihn ist das Medium immer Teil der Erzählung. Im Fall von „28 Years Later“ ging es ihm darum, „ein Landschaftsbild zu schaffen, das eurer Aufmerksamkeit im Kino würdig ist“, wie er es selbst ausdrückt. Gedreht wurde im spektakulären 2.76:1-Format, einem Format, das fast ausschließlich dem epischen Kino vorbehalten ist. Doch statt schwerem Kinoequipment kamen neben Arri-Kameras auch iPhones zum Einsatz – montiert in Spezialrigs, mit professionellen Objektiven, Drohnen, Gimbals und sogar einer 20-iPhone-Bullet-Time-Rig.

Boyle erklärt:

Wir wollten diese extreme Weite – dieses periphere Sehen – aber gleichzeitig völlige Beweglichkeit. Dafür sind Smartphones perfekt.


Das iPhone als Kamera: Mehr als ein Marketing-Stunt

Natürlich wurde nicht der gesamte Film mit iPhones gedreht, aber entscheidende Szenen. Laut Boyle ging es nie nur um Portabilität oder Budget, sondern um Textur und Zugang. Die Kameramann Anthony Dod Mantle spricht von einem Spannungsfeld zwischen „Bildqualität und kreativer Freiheit“. Eine Szene wurde sogar mit einem iPhone und einem riesigen Teleskop gefilmt – weil sie es konnten.

Ein iPhone, aufgenommen im ProRes Log, adaptiert mit professioneller PL-Mount-Optik, kann heute Bilder liefern, die sich nicht hinter klassischen Kinoproduktionen verstecken müssen – und dabei Kamera-Setups ermöglichen, die es früher schlicht nicht gab.

Wir wollten Geräte, die keinen Abdruck hinterlassen,“ erklärt Boyle. „Selbst Crew-Fußspuren in unberührten Feldern sind ein Problem, wenn du eine Welt zeigen willst, die 28 Jahre lang menschenleer war.

Kleine Kameras, große Ideen – und ein starker Bezug zur Vergangenheit

Boyle betont mehrfach die Nähe zur ursprünglichen Idee von „28 Days Later“: Damals wie heute geht es darum, technisch gegen den Strich zu bürsten, um die Welt glaubwürdiger und unmittelbarer zu machen. Damals lagen Camcorder in der Postapokalypse herum – heute wären es Smartphones.

Und auch dramaturgisch bleibt die Reihe sich treu: Das Drehbuch stammt erneut von Alex Garland, der Boyle nicht nur erlaubt, sondern geradezu auffordert, das Material „zu erforschen und zu erweitern“.

Fazit: Die Apokalypse sieht heute anders aus – aber fühlt sich vertraut an

„28 Years Later“ ist ein Film über eine Welt, die sich verändert hat – erzählt von Filmemachern, die ebenfalls mit der Zeit gegangen sind. Die Kombination aus High-End-Kinoformat und Smartphone-Bildästhetik ist kein Stilbruch, sondern eine logische Weiterentwicklung. Boyle bleibt sich treu, indem er sich verändert.

Oder wie er es selbst sagt:

Was zählt, ist nicht die Kamera – sondern eure Beziehung zu den Schauspielern und zur Geschichte.

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